Die Fröbel-Pädagogin
Henriette Goldschmidt wurde
am 23. November 1825* in einem kleinen Ort bei Posen geboren. Ihr
Vater, Levin Benas, war ein jüdischer Großkaufmann, der im Denken
und Tun den Idealen der 1848er Revolution anhing. In der Familie
wurde zu diesen
Themen diskutiert. Henriette konnte die Schule nur bis zur 9. Klasse
besuchen.
1853 heiratete sie ihren Vetter, den Lehrer und
Prediger Dr. Abraham Meir Goldschmidt (1812-1889), der aus 1. Ehe
drei Söhne mit in die
Ehe brachte. Henriette
fühlte sich für eine gute Erziehung ihrer
Stiefsöhne verantwortlich.
Als Dr. A. M. Goldschmidt 1858 von der Israelitischen Religionsgemeinde als Rabbi nach Leipzig gerufen wird, folgt Henriette ihrem Ehemann. Die Familie siedelt nach Leipzig um. Die Legende sagt nun, dass H. Goldschmdt in der Erziehung der Söhne nichts falsch machen wollte. Sie erkundigte sich deshalb in ihrer Gemeinde nach neuen Ansätzen in der Pädagogik und erhielt den Hinweis auf einen Fröbel-Kindergarten, den es in Leipzig schon gab. Sie suchte ihn auf, ließ sich alles erläutern und zeigen. Sie soll die Potenz der pädagogischen Grundsätze bald erkannt haben.
H. Goldschmidt hat sich autodidaktisch vielseitige Kenntnisse angeeignet. Ihr Ehemann hat sie nach Kräften gefördert, wie er auch später ihr öffentliches Wirken unterstützte.
Zunächst beschäftigte sie sich mit Themen aus der Geschichte, Philosophie und Literatur. Sie verehrte insbesondere den Dichter und Dramatiker Friedrich Schiller und bewunderte dessen Menschheitsideal. 1905 in Vorbereitung seines 100. Todestages initiierte H. Goldschmidt die Gründung des Leipziger Schillervereins deutscher Frauen. Auch Gotthold Ephraim Lessing gehörte zu den Lieblingsschriftstellern. Relativ spät begann sie, sich der Pädagogik zuzuwenden.
* Dr. Eberhard Ulm gibt nach Einsicht in das Verzeichnis der Geburten der jüdischen Gemeinde Krotoschin den 23. Oktober 1825 an.
Die Goldschmidts führten ein offenes Haus und pflegten gesellschaftliche Kontakte. So lernten sie Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt kennen, die beiden führenden Frauen in der Frauenbewegung Deutschlands. H. Goldschmidt gehörte dann mit zu den Begründerinnen des Leipziger Frauenbildungsvereins und des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) im Jahre 1865. Im Vorstand des ADF war sie von 1867 bis 1906 tätig.
Sie selbst gründete 1871 den interkonfessionellen Verein für Familien- und Volkserziehung; es war kein reiner Frauenverein. H. Goldschmidt gelang es, 150 bedeutende Leipziger Persönlichkeiten zu gewinnen. Da sie auch eine begnadete Spendensammlerin war, gelang es ihr, mehrere Volkskindergärten zu etablieren, die nach den Grundsätzen der Fröbel-Pädagogik arbeiteten. Den ersten Volkskindergarten eröffnete sie 1872 in der Querstraße. Sie stand in engen Kontakt mit Bertha von Marenholtz-Bülow (1810–1893), die in Dresden wirkte. Die Baronin verbreitete durch ausgedehnte Vortragsreisen durch Deutschland, aber auch ins europäische Ausland, die Pädagogik Friedrich Fröbels und warb für die Idee des Kindergartens. Sie verhalf den pädagogischen Auffassungen Fröbels zum internationalen Durchbruch.
Goldschmidt wusste aus den Diskussionen mit der Baronin, dass die Kindergärtnerinnen unbedingt eine Ausbildung brauchten. Deshalb baute sie Bildungsstätten für Frauen auf; so richtete sie 1872 Seminare für Kindergärtnerinnen ein und 1878 ein Lyzeum für Damen, das später Fröbel-Frauenschule hieß. H. Goldschmidt unterrichtete auch selbst. Als brillante Rhetorikerin war sie in Leipzig und in ganz Deutschland für Vorträge in Vereinen und in der Öffentlichkeit nachgefragt.
Mittels
Spenden schaffte Goldschmidt
es, ein Haus in der Leipziger Weststraße 16 (heute
Friedrich-Ebert-Straße) zu kaufen, um darin Volkskindergärten, das
Seminar für Kindergärtnerinnen und die Fröbel-Frauenschule
unterzubringen. Außerdem wurde
in diesem Haus ein Schülerinnenpensionat und ein Seniorinnenheim
eingerichtet.
Es fanden in der Weststraße 16 Vorträge,
Kurse, kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen statt. Das
Haus wurde zum Zentrum
der Frauenbildung in Leipzig. Im Jahre 2 000 wurde dieses Haus, das
verfallen war, trotz vieler Proteste aus dem In- und Ausland
abgerissen, dem Erdboden gleichgemacht. Angeblich sollte eine neue zu
bauende Straße über dieses Areal führen. Die Straße ist nie
gebaut worden.
Am 23. November 1911, Goldschmidts 86. Geburtstag, machte sie sich das größte Geschenk: Sie eröffnete die Hochschule für Frauen zu Leipzig. Das war möglich geworden, weil der Musikverleger Dr. Henri Hinrichsen, Inhaber der weltbekannten Edition Peters Leipzig, das dazu nötige Kapital stiftete. Goldschmidt engagierte als Lehrkräfte Professoren der Leipziger Universität. Sie selbst unterrichtete neben Dr. Agnes Gosche auch. Das war eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung für Frauen in Deutschland. Die Hochschule unter Leitung von Henriette Goldschmidt errang bald große nationale und internationale Beachtung und Wertschätzung.
Nach dem Tod von Goldtschmidt firmierte die Schule als Sozialpädagogisches Frauenseminar.
In der Zeit des Nationalsozialismus änderten sich Inhalte und vor allem der Ausbildungsgeist. Jüdische Mädchen wurden nicht mehr aufgenommen. Das Andenken an Henriette Goldschmidt und an den jüdischen Stifter Dr. H. Hinrichsen wurde getilgt.
Hinrichsen versuchte zu emigrieren, wurde aber in Brüssel verhaftet, ins KZ Auschwitz deportiert und dort am 17. September 1942 im Alter von 74 Jahren ermordet. Heute ist eine Straße in Leipzig im Waldstraßenviertel nach ihm benannt.
Nach 1945 wurde eine Straße nach der Gründerin benannt. Die Schule erhielt den Namen: Henriette-Goldtschmidt-Schule und fungierte als Pädagogische Fachschule für Kindergärtnerinnen. Sie erwarb sich einen guten Ruf in der DDR-Zeit.
Heute bietet sie als Fachschule für Sozialwesen Ausbildungsmöglichkeiten in der Sozial- und Heilpädagogik.
Am 30. Januar 1920 vor 100 Jahren starb Henriette Goldschmidt.
In der Öffentlichkeit und in der Behörde der Stadt Leipzig wird dieses Jubiläum nicht wahrgenommen. Im Augenblick dreht sich alles um den Wahlkampf, der um das Amt des Oberbürgermeisters tobt.
Bildnachweis
Grabtafel Henriette Goldschmidts auf dem Alten Israelitischern Friedhof Leipzig, Berliner Straße: Urheber Geisler Martin CC BY-SA 2.5 und CC BY-SA 2.0
Alle anderen Abb. sind Wikimedia entnommen; sie sind gemeinfrei.